Q2-Kurse besuchen Nathan-Inszenierung

Q2-Kurse besuchen Nathan-Inszenierung

Nathan zwischen Sirenen und Bomben im Jerusalem des 21. Jahrhunderts –

Q2-Kurse erleben moderne Aufführung des Lessing-Klassikers im Schauspiel Essen

Eine Gruppentherapiestunde, in der sich offenbar irgendwie miteinander verwandte Menschen austauschen: über ihre Religion, ihre Gefühle, Kriegstraumata, ihre Erinnerungen an den großen Bruder … „Und wie geht’s dir denn jetzt damit?“ – Was so irritierend beginnt, verwandelt sich nach und nach in eine Szenerie aus dem Nahost-Konflikt in Jerusalem im 20. oder 21. Jahrhundert.

Es könnte aber auch das 12. Jahrhundert gewesen sein, die Zeit der Kreuzzüge, in der das Drama „Nathan der Weise“ eigentlich spielt, oder das 18. Jahrhundert, Lessings Zeitalter. Kriege sind immer aktuell, Liebe auch, ebenso wie alle damit einhergehenden Konflikte.

Die Nathan-Inszenierung im Essener Schauspiel transponiert das Stück in die Moderne und beginnt deshalb mit einer Art Familientherapiestunde. Nathan wird von einer Frau dargestellt; das dient nicht nur – aber mitunter auch – dazu, ihn mehr als Menschen denn als quasi-göttlichen Sittenwächter erscheinen zu lassen. „Es lässt den Geschlechterkampf einfach nur so überholt erscheinen wie den Wettstreit der drei großen monotheistischen Weltreligionen, und zeigt, dass jede Zuschreibung doch etwas Unberechenbares hat.“ (Zitat WAZ Essen)

Der freie Umgang des Regisseurs Karsten Dahlem mit dem Text Lessings verwunderte deshalb erstmal die meisten Zuschauer:innen, da die Textgrundlage im Unterricht gründlich behandelt worden war. Aktuelle (Jugend-)Sprache, gemischt mit Passagen aus dem Originaltext, versuchten den Text in die Moderne zu transponieren. Die Übergänge zwischen den Sprachformen waren dabei so gekonnt zusammengefügt, dass diese Transposition durchwegs gelang. Saladin spielte nicht Schach, sondern übte sich im Zusammenbauen von Maschinengewehren. Der Tempelherr erschien als jugendlicher Heißsporn und entbehrte fast gänzlich der ernsten und autoritären Elemente. Auch wurde die Ringparabel als Stück im Stück besonders betont, wobei auch hier die Möglichkeiten der Inszenierung halfen: Nathans sog. Grübel-Monolog wurde auf viele Stimmen aufgeteilt und die ganze Szene wurde gefilmt, um in die Welt hinausgesandt werden zu können.

Im Anschluss an die Aufführung hatten die Schüler:innen Gelegenheit, mit dem gesamten Ensemble über die Inszenierung ins Gespräch zu kommen, bei welchem sie kritische und kreative Fragen stellen konnten. Von dieser großartigen, einmaligen Möglichkeit, die wir den Essener Theaterpädagog:innen verdanken, machten viele Jugendliche ausführlich Gebrauch; es war ein inspirierendes, unterhaltsames und durchaus lehrreiches Gespräch, bei dem sich die Darsteller:innen im wörtlichen Sinn ohne Masken zeigten und ihren ganz persönlichen Zugang zum Lessing-Drama und der Aktualität des Nathan-Stoffes erläuterten.

Dabei kam nicht nur zum Ausdruck, dass die Essener Version im Vergleich mit der Originalfassung Lessings bei vielen Schülern besser ankam, weil sie so einen unmittelbareren Zugang zur Sprache fanden, sondern auch die dort besonders hervorgehobenen Aspekte, wie die unmittelbare Bedrohung in Form des Krieges (Sirenen und Bombeneinschläge) und die Liebe zwischen Recha und dem Tempelherrn, lagen den Jugendlichen näher.

Es wurde deutlich, dass beides wichtig ist und seine Berechtigung hat: das Verstehen des Nathan-Stoffes in der historischen Perspektive und natürlich auch der Lessing’schen Sprache, die beispielsweise in der Erzählung der Ringparabel auch in der aktuellen Essener Inszenierung nicht angetastet wurde, und daneben aber auch der zeitlose Gehalt des Dramas, das uns heute immer noch viel zu sagen und das Potential hat, auch heutige Jugendliche „hinter dem Ofen hervorzulocken“.

Allemal hat sich nach Aussage der Schüler:innen sowie der begleitenden Lehrer:innen der Besuch der Aufführung im Schauspiel Essen gelohnt. Ende März werden auch die interessierten Jugendlichen der Jahrgangsstufe Q1 in den Genuss kommen, deren Anfang Januar geplante Aufführung krankheitsbedingt zunächst ausgefallen war.

Ein solcher Theaterbesuch ist nicht nur ein besonderes Erlebnis, sondern eines, das sicher in Erinnerung bleiben wird. Wir können es auf jeden Fall allen weiterempfehlen: Sich dazu aufzuraffen lohnt sich!!

Florian Damberger

Bilder:

1. Gruppentherapiestunde (Galerie oben links):
Sabine Osthoff (Daja), Thomas Büchel (Sultan Saladin), Alexey Ekimov (Ein junger Tempelherr), Ines Krug (Nathan), Sven Seeburg (Sittah), Luzie Juckenburg (Recha)

2. Nathan erzählt die Ringparabel (Galerie oben rechts):
Ines Krug (Nathan), Alexey Ekimov (Ein junger Tempelherr), Thomas Büchel (Sultan Saladin)

3. Die Liebesgeschichte zwischen Recha und dem Tempelherrn nahm viel Raum ein (Galerie unten links und Beitragsbild):
Luzie Juckenburg (Recha, Alexey Ekimov (Ein junger Tempelherr)

4. Nathan und der Tempelherr im Streitgespräch (Galerie unten rechts):
Alexey Ekimov (Ein junger Tempelherr), Sven Seeburg (Sittah), Ines Krug (Nathan), Luzie Juckenburg (Recha)

Fotos von Martin Kaufhold, mit freundlicher Genehmigung des Schaupiel Essen.