Theater: „Die Welle“, ein Auslöser blinden (faschistischen) Gehorsams?

Theater: „Die Welle“, ein Auslöser blinden (faschistischen) Gehorsams?

Spot on. Die Theaterbesucher erwartet eine Inszenierung des Jugendbuchklassikers „Die Welle“ (Morton Rhue). Die Aulabühne des Gymnasium Petrinum ist am Mittwoch, dem 03. April 2019, [in Dorsten] leer. Überraschend erhebt sich eine Schauspielerin der Theater-AG unter der Leitung von Thomas Boos und der Assistenz von Janet Weißelberg sowie Caroline Wiesweg aus dem Publikum und setzt sich wortlos, etwas verunsichert spielend auf den Bühnenrand. Jetzt kommt Bewegung auf die Bühne. Die anderen Schauspielerinnen und Schauspieler, die sich ebenfalls unter das Publikum gemischt haben, treten einzeln auf die Bühne und stellen sich vor: Brad (Matthias Bockamp), Brain (Paul Kahla) und David (Konstantin Krietemeyer) sind die beliebten Jungs, die zum Footballteam der kalifornischen Gordon High School [in Palo Alto] gehören, Laurie, die strebsame Schülerin und Herausgeberin der Schülerzeitung, sowie ihre „Pressefotografin“  Alex (Marlena Mach) und ihre Freundinnen Amy (Aileen Busch) und Janet (Rosa Schmidt). Doch es kommt die Frage auf: Wer ist das Mädchen, welches wortlos am Rand der Aulabühne sitzt? Es ist Roberta (einfühlsam dargestellt von Philiene Wickler), die Außenseiterin der Klasse. Durch die Figurenvorstellungen wird dem Zuschauer bewusst, dass die Schauspielerinnen und Schauspieler ausnahmslos souverän, textsicher und überzeugend ihre Charaktere darstellen werden.

Szenenwechsel: Die Schüler und Schülerinnen befinden sich in einem Klassenraum. Der Geschichtsunterricht bei ihrer Lehrerin Misses Ross (souverän gespielt von Thalina Trapp) steht auf dem Stundenplan. Thema der heutigen Stunde: Faschismus in der NS-Zeit. Die Schülerinnen und Schüler sind verwundert, dass die Deutschen sich zur NS-Zeit nicht gegen das Regime aufgelehnt haben.

Diese Verwunderung der Schülerinnen und Schüler beschäftigt Misses Ross auch noch am Abend zu Hause. In einem Gespräch mit ihrem Mann Ben (Luis Meißner vom Berufskolleg) stellt sie sich die Frage: „Ist ein Person in der Lage, eine Gruppe in Fanatiker zu verwandeln?“ Die Frage bildet den Auftakt ihres Experiments für die kommenden Unterrichtsstunden.

Misses Ross und ihre Geschichtsklasse entwickeln neue Tugenden: „Stärke durch Disziplin, Stärke durch Gemeinschaft und Stärke durch Aktion“. Der Zuschauer sieht mit Erschrecken, wie schnell und unkontrolliert sich die neue Gruppendynamik, die neuen Tugenden in der Klasse und in der Schule verbreiten. Die neue Gruppe erhält einen Namen, „Die Welle“, sowie ein Wellensymbol als Erkennungszeichen. Durch die Veränderung der Gruppendynamik wird dem Zuschauer deutlich, dass die Schauspielerinnen und Schauspieler der Theater-AG keinerlei Berührungsängste mit dem ernsten und beunruhigenden Thema haben. Sie alle, angefangen von den sonst so cool-distanzierten Footballspielern über die braven Mädchen der Klasse bis zu Roberta, die endlich Anerkennung findet, lassen sich auf die neue Ideologie ein und verkörpern ihre Rollen sehr anschaulich. Skeptisch bleiben allein Alex und Laurie (überzeugend gespielt von Lina Kempchen), die sich von Anfang an der suggestiven Vereinnahmung durch Parolen und Gruppendruck entzieht.

Das Experiment der Geschichtsklasse verselbstständigt sich und steigert sich bis zu seinem Höhepunkt in der Mitglieder-Versammlung in der Aula der Gordon High School, so dass die Zuschauer zu Mitspielern des Theaterstücks und gefühlten Mittätern werden.

 

Die Schüler-Inszenierung „Die Welle“ bewegt, erwischt das Publikum ausnahmslos. Die Zuschauer erkennen die Aktualität des Stücks, werden wachgerüttelt und fahren mit dem Gedanken nach Hause, wie schnell eine Welle zwar verebbt, aber die neue sich vielleicht schon irgendwo auftürmt …

Rezension: Janine Patek